Hattest du auch so eine Oma, die dir einbläute: „Kind! Halt dich grad! Brust raus! Arschbacken z’samzwicken! Kinn in die Höh‘!“ Und dich dazu vielleicht noch mit einem Buch auf dem Kopf um den Wohnzimmertisch marschieren ließ? Daran muss ich oft denken. Vor allem beim Tanzen. Denn da merkt man ja ganz schnell, ob die Haltung stimmt: schön soll’s aussehen und aufrecht und leicht. Das klappt natürlich nur mit einer gut geschulten, entspannten Balance. Sonst fällt man um. Das ist dann nicht mehr schön.
Die gute Haltung brauchen wir ja nicht nur für’s Tanzen – ich höre einen Nichttänzer draußen am Bildschirm erleichtert aufatmen – sondern auch für ganz „normale“ Angelegenheiten wie Schifahren, Rasenmähen oder einfach Gehen.
Jetzt nähere ich mich mit meinen 50 dem Oma-Alter und tanze seit 47 Jahren. Drum darf ich jetzt auch einmal g’scheit daherreden: Was ich bei fast allen meinen Tanzlehrern, also Experten für gute Haltung vermisst habe, sind schnell umsetzbare Tipps für eine gute Haltung, die vor allem funktionieren.
Kein Ballettgekrampfe, sondern einfach eine entspannte, gute Haltung. Denn die ist artgerecht für unsere Gestelle und beugt Schmerzen vor.
Stattdessen gab’s massenhaft Anweisungen, die – wie ich heute weiß – einfach biomechanischer Quatsch sind. Siehe Oma! Leider halten sich etliche dieser Mythen bis heute hartnäckig und stören so manchen Bewegungsfluss empfindlich. Dann tut’s irgendwann, eher früher als später, weh. Und das muss echt nicht sein!
Wahrscheinlich bin ich deswegen schließlich beim Tango hängengeblieben: Tango ist ein Tanz, der mit recht organischen, physiologischen Bewegungsmustern auskommt. Ein Tanz der einfachen Leute, zum auf der Straße tanzen. Mit Bewegungsideen, die man auch im "normalen Leben" benutzt. Das Praktische daran ist, dass du die folgenden Pimp-Vorschläge in deinen ganz normalen Alltag integrieren kannst.
Tango ist (noch dazu!) eine sinnliche Sach'! Er findet im Körper statt, nicht im Hirn. Denn selbiges kann (vielleicht sogar hervorragend) denken, aber nicht fühlen. Und Tango tanzen schon gar nicht. Dein Gestell reguliert zusammen mit dem Bewegungszentrum deine Bewegungen selber. Vorausgesetzt, du lässt das zu, anstatt deine Schaltzentrale für "coole Moves" mit siebenundachtzigkommafünf Korrekturanweisungen zu überfluten.
Nutze dein gepimptes Gestell, wo und wann du willst! Ich bin dir gewiss nicht gram, wenn du mit Tango nix am Hut hast und die Vorschläge für tangoferne Aktivitäten verwendest, z.B. in der Arbeit, beim sonntäglichen Verwandtenspaziergang, Tennisspielen oder Kartoffelschälen. Ersetze dann einfach "Tango" durch deine Lieblingsaktivität.
Meine Vorschläge wirken u.a. über Sensomotorik, Stellreflexe und Aktivierung von Muskelketten. Trotzdem erfordern sie ein bissel Übung, bis sie ausgegraben, reaktiviert und wieder in Fleisch und Blut übergegangen sind. Je öfter du im Alltag damit spielst, umso schneller werden sich die leichteren Bewegungen etablieren.
Bis die alten, verspannten Haltungsmuster komplett durch die neuen, entspannten ersetzt sind, kann sich dein Körper eine Zeitlang eigenartig oder sogar schlaff anfühlen. Das ist ganz normal beim Umlernen. Hab Geduld. Übe einfach weiter.
Los geht's!
Schon auf der Fahrt zum Tango (oder wohin auch immer) kannst du damit beginnen, deinen Körper auf's Tanzen (oder was auch immer) vorzubereiten:
Der Damm (Perineum) ist die geheime Stelle am Beckenboden zwischen Harnröhre und Hinterausgang, bzw. Kronjuwelen und Hinterausgang. Der Teil zwischen den Beinen, der auf dem Fahrradsattel sitzt. Falls du den Damm nicht oder nur schwer spüren kannst: Hilf deiner inneren Landkarte in einem ruhigen Alleinsamkeitsmoment mit Berührung. Beim Herz meine ich den Teil, der hinter dem Brustbein bumpert.
Darf ich vorstellen: Musculus gluteus maximus (großer Gesäßmuskel)! Laut Stellenbeschreibung liegt eine seiner Hauptaufgaben in der Hüftstreckung. Das macht er gut. Im Video findest du eine anschauliche Zeigung ;)
Bleibt er aber bei anderen Aktionen in Beinen und Hüfte dauerangespannt, behindert unser Kraftmeier das Bewegungsausmaß im unteren Rücken und Geläuf (erfahrungsgemäß eine Lieblingsverspannung der Männer). Besonders gut fühlbar ist diese Situation, wenn du versuchst, mit verkrampftem Hinterteil in die Hocke zu gehen oder dich abzusetzen. Ein zusammengezwickter Gluteus zwingt dann sogar seine gegen- und mitspielendenden Muskelbrüder zu erhöhtem Energieaufwand. Die Beinmuskulatur, Hüfte und Rücken müssen so biomechanisch sehr ungünstig gegen Widerstand arbeiten. Und sich tierisch anstrengen. Bleibt das eine Zeitlang so, lassen Rücken- oder Hüftschmerzen nicht lange auf sich warten.
Ist unser MG Maximus schon in Ruhe zu 80 Prozent angespannt, bleiben ihm nur noch 20 Prozent zum Kraft-Maximum. Mehr Anspannung auf einen eh schon angespannten Muskel draufstapeln ist schwierig! Darf er dagegen ein bissele lockerer sein, wenn du ihn nicht oder nur wenig brauchst, hat er weit mehr Kraftpotenzial zur differenzierten, schnellen Anpassung zur Verfügung.
Beobachte also genau, in welchen Situationen du deinen Hintern über die Maße anspannst. Lass locker!
Und jetzt geben wir der Balletteuse ihr sagenumwobenes 5-Mark-Stück, das sie zwischen ihren Pobacken eingezwickt umherträgt, und schicken sie damit zum Eisessen. Ja?
Die geraden Bauchmuskeln - vorne am Rumpf, zwischen Schambein und Brustbein - sind NICHT die alleinseligmachenden Haltungsaufbauer. Wie auch? Ihr Hauptjob besteht darin, den Rumpf zu beugen. Im Stehen kippen sie das Becken, indem sie das Schambein Richtung Kinn ziehen. Beide Möglichkeiten scheinen mir für eine aufrechte Haltung sinnlos. Eine knackige Dauerspannung im Sixpack zu halten ist daher total unnötig!
Brettlhart angespannt wird’s schwierig mit dem Atmen. Das macht missmutig und bewirkt weitere Verspannungen anderswo.
Hältst du deinen Beckengürtel im richtigen Kippwinkel – Herz über dem Damm - beginnen auch der Beckenboden und die anderen Bauchmuskeln lässig und artgerecht ihre Arbeit.
Das reicht doch! Wie ein feines Stützmieder (Nierengurt) mit Atemöffnung rund um den Bauchnabel.
Das hält den Rücken zufrieden. Und dich hoffentlich auch!
... Fortsetzung folgt!
Diese Artikelserie erschien auch hier: "Was Ihnen Ihr Tangolehrer nicht erzählt" Gerhard Riedl präsentiert auf seinem Blog geheimste Geheimnisse mit Gastbeiträgen von altgedienten TangoverrücktInnen. Eine echte Schatzkiste!
Herzliche Grüße!
Was denkst du?